Jahrgang 2013 Nummer 43

Mit »Kraft durch Freude« ins Achental

Fremdenverkehr in Grassau vor bald schon 80 Jahren mit dem KdF

Manchmal wurden die Gäste auch mit dem Pferdefuhrwerk abgeholt.
Einzug der Gäste in Grassau 1936.
Ankunft im Achental.
Einmarsch der Gäste.
Geigelstein, am Gipfel angekommen.
Ausflug zum Tegernsee.
1937 Georg Fellner (in der Mitte) beim KdF-Kongress in Hamburg.
Faschingsveranstaltung 1936 für KdF-Sportkurs im Gasthof Sperrer.
Beim Almtanz.

Nachdem der Fremdenverkehr in den Zeiten der Weltwirtschaftskrise 1929 bis 1933 fast völlig zum Erliegen gekommen war, gab es nach der Machtübernahme der Nazis in Berlin eine Trendwende, insbesondere durch die Gründung der NS-Gemeinschaft »Kraft durch Freude«.

Zuvor wurden aber durch das Fremdenverkehrsgesetz vom Juni 1933 die Verkehrsvereine in den Orten entmachtet und den 1. Bürgermeistern der Gemeinde die Verantwortlichkeit für den Fremdenverkehr auferlegt. Auf dieser Rechtsgrundlage konnte auch der Verkehrsverein in Grassau nicht mehr weiterbestehen und löste sich im Januar 1934 auf. Die Sorge für den Fremdenverkehr wurde einem neu zu bildenden Verkehrsamt bei der Gemeinde überlassen.

Zwar sind noch Postkarten aus der Zeit zwischen 1935 und 1940 von Grassau und Rottau bekannt, auf denen die von der NS-Gemeinschaft vermittelten Gäste beim Einmarsch in Grassau oder Rottau gezeigt wurden. Bekannt sind auch die nackten Zahlen, wie viele Gäste nach Grassau kamen und auch die vielen Vermieter, bei denen die »Fremden« unterkamen. Weniger ist jedoch bekannt über den Ablauf des Urlaubs an den Ferienorten.

Am 27. November 1933 wurde mit der Gründung der nationalsozialistischen Gemeinschaft »Kraft durch Freude« als Unterorganisation der Deutschen Arbeitsfront (DA) die wohl populärste Organisation des NS-Regimes gegründet. Zu den wichtigsten Aufgaben der Freizeitorganisation KdF gehörten die Organisation von Nah- und Fernreisen, aber auch die Organisation kultureller Ereignisse und sogar der Besuch der Olympischen Spiele 1936 in Berlin. Damit sollte die Arbeiterschaft in die »Volksgemeinschaft« eingegliedert werden. Ziel der Veranstaltungen war es, den Arbeitern und ihren Familien Möglichkeiten zur Entspannung und Regeneration zu bieten und damit zur Erhöhung der Arbeitsleistung beizutragen. Es sollte damit auch die deutsche »Volksgemeinschaft« über die Grenzen der einzelnen Reichsteile gestärkt und ideologisch verfestigt werden.

Das von der NS-Propaganda betonte Prunkstück von KdF war ihr Reiseprogramm. Bis 1939 wurden 43 Millionen Reisen verkauft, von denen die meisten Tagesausflüge waren. Davon waren aber auch sieben Millionen Urlaubsreisen, welche bis nach Norwegen, Madeira oder Italien und natürlich auch ins Bayerische Oberland führten.

Durch die relativ niedrigen Preise, für Tagesausflüge ein bis fünf Mark und Reisen bis zu 120 Mark für eine Schiffsreise nach Madeira, bei einem Monatseinkommen von circa 150 Mark, sollte der arbeitenden Bevölkerung Zugang zu den bislang bürgerlichen Privilegien des Urlaubs bieten, ganz im Sinne der klassenlosen Gesellschaft der »nationalsozialistischen Volksgemeinschaft«.

Durch Reisesparen war es möglich auch teurere Reisen zu buchen. Ab 1938 war es auch möglich auf einen KdF-Wagen anzusparen. Schon 1940 hatten 300 000 erwartungsfrohe Käufer bereits 280 Millionen Reichsmark angespart, für das sie aber niemals ein Auto erhielten.

Bereits 1934 erreichten die Wellen der KdF-Organisation auch den Chiemgau und Grassau. Da in Grassau und Rottau bis dahin nur relativ wenige Fremden-Betten zur Vermietung zur Verfügung standen, wurden die Haushalte und insbesondere auch die Landwirte zur Bereitstellung geeigneter Zimmer aufgefordert.

In kürzester Zeit gelang es, genügend Fremdenbetten im Ort zu finden. Sie entsprachen zwar nicht dem heutigen Tourismus-Standard, aber waren auch nicht weit von dem damaligen Wohn-Standard in deutschen Städten entfernt. Fließend kaltes Wasser auf dem Zimmer oder dem Flur, gemeinsame Toilette in der Regel im Haus auf der Etage, teils Warmwasser auf Anfrage. Teilweise zogen die Kinder während der hauptsächlichen Urlaubswochen auf den Dachboden und machten ihre Zimmer für die Gäste frei. So konnten schon im Sommer 1934 die ersten Gäste aus Westfalen begrüßt werden, wie die örtliche Zeitung am 24. Juli 1934 (Achentaler Nachrichten) meldete.

»Grassau. Nachdem am Samstag mittags der Urlauberzug aus Westfalen abgesagt wurde, traf derselbe doch unverhofft am Sonntag vormittag ein und 200 Gäste belebten kurz darauf das Dorf. Nachmittags 4 Uhr trafen weitere 100 Gäste aus Berlin ein, sodaß jedes verfügbare Quartier besetzt ist. – Das nachmittags stattgefundene Festspiel war trotz des heraufziehenden Gewitters noch gut besucht. Die Aufführung war auch wieder eine hervorragende Leistung für die Spielerschar und die Zuschauer waren voll des Lobes. Der Wettergott hatte gerade noch Einsehen und wartete noch mit dem Regen bis der Schlusschor verklungen war. – Abends der Almtanz fand natürlich volles Haus und reicher Applaus dankte den Plattlern und Tänzerinnen. So verging der Sonntag mit abwechslungsreichem Programm.«

In Grassau bestand am Anfang die große Hoffnung, dass über diese Organisation mehr Gäste und auch Besucher aus den umliegenden Orten und Landkreisen zu dem Theaterstück anlässlich der 1000-Jahrfeier gebracht werden würden. Für das Jahr 1934 waren insgesamt nur sechs Aufführungen an den Sonntagen vom 22. Juli bis 26. August geplant. Es zeigte sich wirklich, dass bei entsprechendem Wetter auch die Gäste aus den Nachbarorten und Landkreisen kamen.

26. Juli 1934 (Achentaler Nachrichten): »Grassau. (Festspielbesuch) Die NS. = Gemeinschaft »Kraft durch Freude« DAF. Kreis Traunstein hat für Sonntag, den 5. August eine Fahrt mit Sonderzug ab Rosenheim nach Grassau zum Besuch des Festspieles angesetzt. Demnach wird am Sonntag den 5. August eine Vorstellung vormittags 10 Uhr stattfinden und auch am Nachmittag einhalb 3 Uhr die reguläre Vorstellung sein. Somit wird am kommenden Sonntag den 29. Juli nur die Nachmittagsvorstellung stattfinden. Wir möchten an dieser Stelle besonders die einheimische Bevölkerung zum Besuch der am 29. Juli nachmittags stattfindenden Vorstellung einladen, da zu den späteren Vorstellungen sehr viele auswärtige Besucher zu erwarten sind.«

1934 kamen dann, wie im Zeitungsbericht vom Juli schon berichtet wurde, die ersten Sommerfrischler durch die »Kraft durch Freude« Organisation. 1933 wurden in Grassau während des ganzen Jahres nur 8300 Übernachtungen gezählt, 1934 bereits 24 260. Davon wurden allein 14 680 Übernachtungen über die NS-Gemeinschaft gebucht. Die Urlauber wurden vom Bahnhof am östlichen Ortseingang abgeholt und über die Bahnhofstraße teils mit Musik in den Ort geleitet. Dort wurden die Urlauber dann auf die Zimmer verteilt.

Auch in Rottau wurden die Gäste aus ganz Deutschland festlich empfangen und im Dorfzentrum direkt bei der Kirche auf die Vermieter verteilt.

Für den Urlaub am Ferienort gab es fertige Programme, welche den Reisenden bei der Begrüßung übergeben wurden. Es wurden einerseits Touren im Nahbereich vorgeschlagen und andererseits auch Fahrten nach Berchtesgaden sowie zum Königssee und nach Garmisch-Partenkirchen sowie zum Tegernsee.

Die Übernachtungen nahmen in den folgenden Jahren rapide zu, mit einem Höhepunkt 1937. Ab dem Kriegsbeginn nahmen die Aktivitäten des KdF rapide ab. Die Aufenthaltsdauer der Gäste betrug 9 bis 10 Tage bei einer Anreise von teils mehr als 12 Stunden aus dem Rhein- und Ruhrgebiet, aus Berlin oder dem heutigen Sachsen-Anhalt.

1935: 31 480 Übernachtungen, insgesamt 21 280 davon über KdF vermittelt. 1936: 40 640 Übernachtungen, insgesamt 20 960 davon über KdF. 1937: 59 890, 29 685 Aufenthalt, 10 Tage. 1938: 47 782, 25 147 Aufenthalt, 8,8 Tage. 1939: 35 417, 13 230 Aufenthalt, 9,8 Tage.

Weniger bekannt ist, wie dieser Urlaub in Grassau wirklich ablief, da das fotografierte Bildmaterial mit den Gästen in ihre Herkunftsorte verschwand. Eine größere Anzahl von Bildern eines Urlaubers konnte nunmehr bei einer Auktion im Internet gefunden werden. Dieses Material gibt einen schönen Einblick in den Ablauf eines solchen Ferienaufenthalts in Grassau und im Achental.

Nach der Ankunft mit der Bahn an den Bahnhöfen in Marquartstein, Grassau, Mietenkam oder auch Übersee wurden die Gäste nach Grassau mit Pferdefuhrwerken oder zu Fuß geführt. Die Rottauer Gäste wurden am Bahnhof in Bernau in Empfang genommen und dann nach Rottau mit Pferdefuhrwerken gebracht oder zu Fuß mit Leiterwagen für das Gepäck geleitet.

Die ersten Ausflüge führten in die nähere Umgebung, teils auch auf die nahen Berge, wie Hochplatte, Friedenrath oder Hochgern. Aufwändiger war schon die Bergtour auf den Geigelstein. Mit Bussen oder auch Privat- PKW’s ging es zuerst nach Schleching und von da hinauf zu den Almen und dann zum Gipfel. Aber auch die Kampenwand reizte die Gäste zu einer Bergtour. Die Ausflüge zu weiter entfernten Zielen wurden von den Sommergästen gegen Zuzahlung eines relativ geringen Beitrags recht gerne in Anspruch genommen.

Nach 8 bis 14 Tagen war der Urlaub in Grassau dann vorbei und die Rückfahrt begann dann wieder an den Bahnhöfen in Marquartstein, Staudach- Grassau oder in Übersee zumeist in größeren Gruppen.

Auch die heimische Bevölkerung stellte sich in den Sommermonaten ganz in den Dienst des aufkommenden Fremdenverkehrs. Ob dies bei den Vorstellungen des Theaterstückes zur 1000-Jahrfeier oder später des Theateroder des Musikvereins geschah, ob bei den Heimatabenden oder den Maifeiern, die heimischen Vereine und ihre Mitglieder waren mit vollem Einsatz gefordert. Aber auch die heimische Jugend war bei der Betreuung der Kurgäste, insbesondere der weiblichen, im Interesse der Gemeinde voll gefordert. Nach dem Almtanz bot sich dabei als Betätigungsfeld insbesondere das weit über Grassau bekannte Café Bauerngirgl an. Viele Gäste erinnerten sich noch viele Jahre später an die erfüllten Stunden, welche sie dort bis in die späte Nacht verbrachten. Es begann schon mit dem Tanztee am Nachmittag und endete dann oft weit nach Mitternacht. Der Einsatz für die Gäste schlug sich auch in den Paukenversen beim jährlichen Faschingskonzert nieder:

Paukenverse – Faschingskonzert 1935

Grüss euch Gott jetzt san ma da, ihr kennt uns ja vom vorigen Jahr, es hat sich manches zugetragen, was wir euch wollen jetzt gern sagen.

Im Sommer gibt es Kraft durch Freuden, die Damenwelt kann's gar nicht leiden, im Winter kommen dann Berliner, die sind ja noch bedeutend schlimmer.

Für unsre Buam ist das ein Fall, dö sind dabei ganz national, sie opfern sich für Preussen, Sachsen, die Hauptsach is wenn's schön san g'wachsen.

Gibst oana a' Bussl von der Stadt, na bist ums ganze Mei rum rot, da gibi oans mein Dirndl glei, na lauft mas Wasser zam im Mei.

Ja mancher brave Ehemann, der geht da noch wie Blücher ran, sei Frau schimpft ihn was brauchst du Kraft, du Esel bist im letzten Saft.

A' Goasbock is uns narrisch worn, er trägt vor Stolz jetzt hoch sein Horn, weil oaner von der Aachner Stadt, ihn für an echten Gamsbock o’gschaut hat.

Wenn Kraft durch Freud zu uns kommt heut, ham d’ Schuasta a’ a' rechte Freud, denn wie die san an Berg nauf g’stiegn, san meistens d’ Absätz hinten bliem.

Wenn Schmalz durch Gaudi ham wir da, na schiam beim Beuthin d’Schuasta oh, denns Berg führn ja des sagn dö glei, tragt mehra als wia d’ Schuasterei.

In der Faschingszeit wurden eigene Veranstaltungen für die KdF-Gäste gestaltet, wie z. B. 1936 im Januar für einen KdF Sportkurs.

1937 machte sich Georg Fellner zusammen mit zwei weiteren Begleitern in einem KdF-Sonderzug zum Bundeskongress nach Hamburg auf. Dort wollten sie die Interessen ihrer Heimatgemeinde und auch die Interessen der örtlichen Trachtler vertreten. Die Trachtenvereine waren in ihrer alten Struktur aufgelöst und in die KdF-Organisation eingegliedert worden. Sie sollten dabei durch ihre traditionellen Veranstaltungen, wie insbesondere die Almtänze aber auch das Preisplatteln, dazu beitragen, dass sich die vielen Gäste am Ort wohlfühlten.

In den Jahren 1937 und 1938 bemühten sich die Verantwortlichen für den Fremdenverkehr durch den Druck und die deutschlandweite Verteilung von Faltprospekten die Gästezahlen zu steigern. 1937 wurde insbesondere die Ruhe und Erholung im 1000-jährigen Grassau gepriesen. Eine Liste von vier Seiten mit Ferienquartieren war dem Prospekt beigelegt.

Mit dem besonders ansehnlich gestalteten Prospekt von 1938 versucht die Gemeinde insbesondere auch Urlauber für den Winterurlaub zu gewinnen. 1939 wurde sogar ein eigenes Winterprospekt erstellt.

Mit dem Beginn des Krieges im September 1939 ging auch die Zahl der Urlauber in Grassau, Mietenkam und Rottau deutlich zurück. Im Verlaufe des Krieges insbesondere 1943 bis 1945 wurden auch mehr und mehr die Ferienquartiere durch Flüchtlinge, ausgebombte Familien aus München und dann durch Heimatvertriebene in Anspruch genommen.

Nach Kriegsende dauerte es dann 10 bis 20 Jahre, bis der Fremdenverkehr im Chiemgau wieder langsam einsetzte.


Olaf Gruß

 

43/2013