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Panorama Isabelle Caro

Wie eine Magersüchtige ihre Krankheit vermarktete

Die französische Magersüchtige Isabelle Caro machte von sich reden, als sie nackt für Benetton-Fotograf Oliviero Toscani posierte. Seitdem sieht sie sich Botschafterin gegen die Krankheit. Dabei ist ihr ausgemergelter Körper, den sie gekonnt verkauft, im Moment ihr Kapital.

„Ich bin fast eine Darstellung des Todes“, sagt Isabelle Caro von sich selbst. Als die 25-Jährige für den italienischen Fotograf Oliviero Toscani posierte, wog sie nur 30 Kilo und war frisch aus einem Krankenhaus entlassen worden. Toscani und die Klamottenmarke "No-l-ita" wollten mit ihrem ausgemergelten Körper ein Zeichnen gegen Essstörungen setzen, hieß es. Die Plakate zur Kampagne „No-Anorexia“ („Nein zur Magersucht“) wurden im September in Mailand und Rom aufgeklebt und sorgten weit hinaus über die Stadtgrenze für Aufmerksamkeit.

Das Modell war bei einem Casting unter Magersüchtigen ausgewählt worden und kassierte nur 700 Euro für die Fotoaufnahme. Inzwischen ist Isabelle Caro zum „Starlet der Magersucht“ geworden, was offensichtlich nicht vorgesehen war. "Es ist schrecklich, was derzeit passiert. Isabelle redet unablässig über sich selbst“, sagte Toscani in einem Interview mit dem "Stern". Einige behaupten, die junge Frau sei damals zu schwach gewesen, um ein freies Einverständnis zu den Fotos geben zu können. Sie beklagt sich jetzt, sie sei wie ein Objekt benutzt worden.


Dennoch sagte Isabelle im September dem Radiosender RTL, sie bereue nichts. "Die physischen und psychischen Leiden, die ich durchgestanden habe, geben nur einen Sinn, wenn sie denen helfen, die in die Falle geraten sind, aus der ich mich zu befreien versuche", sagte die Französin. Sie sehe sich jetzt als Botschaftlerin gegen Magersucht. Dabei ist seit der Nolita-Kampagne ihre Krankheit ihr Kapital.

Starlet der Anorexie


„Ich habe mich selbst zu lange verborgen. Jetzt will ich mich ohne Angst zeigen, obwohl ich weiß, dass mein Körper abstößt“, sagt Isabelle Caro. Auf ihrem Weblog sieht man sie mit Fernsehteams in Paris, Wien, New York, Madrid und Athen unterwegs. Die italienische Ausgabe von Vanity Fair veröffentlichte ein exklusives Interview mit ihr. Jetzt will sie ihr Studium in Paris an der renommierten Schauspielschule „Cours Florent“ fortsetzen, die sie aus Gesundheitsgründen verlassen musste. Wegen ihres Todeslager-Aussehens wurden ihr bis jetzt überwiegend Rollen von Drogenabhängigen und Leichen angeboten.


„Die Leute haben Vorurteile: Viele glauben, dass man einfach nur ein komplizierter Mensch ist, wenn man Essen verweigert. Das gibt zusätzlich Schuldgefühle“, erzählt sie. Isabelle geriet mit 13 in die Magersucht. Sie wuchs abschottet von der Außenwelt auf. Manchmal durfte sie das Haus gar nicht verlassen. Ihr Vater, ein Geschäftsmann, war ständig unterwegs. Ihre Mutter, eine Lehrerin, litt unter schweren Depressionen. Die kleine Isabelle wurde zu Hause unterrichtet. Als Teenager durfte sie nach dem Unterricht Violine spielen, Eislauf und Balletttanz lernen. „Meine Mutter wollte, dass ich ihr kleines Kind bleibt. Sie verbrach ihre Zeit damit, mich zu messen“, sagt sie heute.


„Magersucht ist kein Lebensstil“


Vor einem Jahr zog Isabelle nach Marseille. Sie wiegt jetzt 32 Kilo – bei 1,65 Meter. Sie begibt sich mühsam auf den Weg zur Besserung. Trotzdem wird ihr Körper die Spuren ihrer Krankheit lebenslang behalten. „Ich werde nie wieder lange Haare haben können. Ich habe Zähne verloren“, sagt sie. Ihre Brüste sehen wie die einer 60-jährigen Frau aus, unter ihren Augen ist die Haut fast schwarz und dünn. Am Gesäß blättert die Haut ab. Vor dem Foto war sie bis zu einer Grenze von 25 Kilo abgemagert. Sie lag mehrmals im Koma. „Anorexie ist eine ernste Krankheit und kein Lebensstil", sagt sie heute.

Die tätowierten Sommersprossen auf dem Gesicht von Isabelle Caro sollen an ihre gleichnamigen Lieblingsschauspielerin Isabelle Huppert erinnern. Sie gestand in einem Interview, die Sommersprossen sollen auch die Aufmerksamkeit auf ihre riesigen blau-grünen Puppenaugen statt auf ihrem Körper ziehen. „Als ich nach Marseille umgezogen bin, hat niemand mit mir gesprochen. Ich habe sehr darunter gelitten, wie die Leute mich angestarrt haben.“ Sie dachten, sie hätte Aids oder sei heroinabhängig. „In Cafés und Bars wollten sie mich nicht bedienen“, sagt sie.

"Sie ist ein Prototyp, mehr nicht"

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Seit sie berühmt ist, hat sie sich neue Ziele gesetzt. “Erstens will ich lebensfähig sein”, sagt sie. „Und ich will auch die Botschaft vermitteln, dass das Leben schön ist, und dass es lebenswert ist.“ Sie wünscht sich später ein Kind, wenn ihre Tage nicht mehr ausbleiben und ihr Körper eine Schwangerschaft verkraften kann. Auf ihrer Webseite schreibt sie, sie liebe heiße Schokolade, den Sonnenaufgang auf dem Berg Saint Victoire und koche gern Fisch. Im Sommer verkaufe sie selbstgebastelte Souvenirs auf den Märkten der Cote d'Azur.

Eifrig bastelt sie an ihrem neuen Image als lebensfrohes Mädchen. Laut Oliviero Toscani hat Isabelle verstanden, dass sie mit Leichenkörper und -gesicht Geld verdienen könnte. "Sie ist nicht Isabelle Caro", sagt er. "Sie ist ein Prototyp, mehr nicht. Sie ist Anorexie. Und wie alle Magersüchtigen ist sie hypernarzisstisch", so der Fotograf, der selbst für seine Schock-Bilder von Aidskranken bekannt wurde.

Isabelle Caro will jetzt in einem Buch über ihre Leiden und den Anfang ihrer Genesung berichten. Ihren kranken Körper zeigt sie regelmäßig in Magazinen und Fernsehsendungen. Auf Interviewwünsche geht sie nur ein, wenn sie dabei erneut fotografiert wird. Würde sie ihre Magersucht jemals überwinden - möglicherweise wäre ihr Ruhm dann schnell vorbei.

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